Roboterjournalismus und schreibende Bots: Wer braucht noch Agenturen?
von Andreas Eder
Schon 70 Prozent ihrer Texte könnten Tageszeitungen automatisiert erstellen. Mit dieser Zahl überraschte Saim Rolf Alkan, Geschäftsführer von AX Semantics, das Publikum der 30. Medientage vom 25. bis 27. Oktober 2016 in München. Content bleibt zwar weiterhin King, aber auch hier sind die Veränderungen längst spürbar: Die Verlagshäuser und Medienunternehmen werten Nutzerdaten systematisch aus. Dann passen sie Online-Angebote, Apps und Inhalte maßgeschneidert an. Der Bayerische Rundfunk hat bereits eine eigene Abteilung zur Software-Entwicklung aufgebaut, die eng mit der Redaktion zusammenarbeitet. Mithilfe von Algorithmen internationalisieren und individualisieren große Medienhäuser ihr Angebot, so etwa die altehrwürdige New York Times.
Semantische Welle der Digitalisierung
Diese rasanten Entwicklungen sind möglich, weil Maschinen Medien nicht mehr nur lesen können. Durch die erste Welle der Digitalisierung der Medien werden Daten erfasst, gespeichert, übertragen und verarbeitet. Das beschrieb Prof. Dr. Wolfgang Wahlster in seiner Keynote auf den Medientagen. Er ist Geschäftsführer des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz. Mittlerweile befinden wir uns in einer bedeutend größeren zweiten Phase der Digitalisierung, der „semantischen Welle“.
Neu ist, dass Maschinen Medien jetzt verstehen. Sie nutzen Daten aktiv und lernen selbst – Deep Learning heißt hier das Zauberwort. Die kognitiven Systeme erkennen die Semantik von Texten und multimedialen Inhalten. Sie begreifen die Bedürfnisse eines jeden Empfängers und passen Inhalt, Distributionskanal und Zeitpunkt automatisch an Nutzungssituation und Person an. Die Digitalisierung erfolgt jetzt also mit „Sinn und Verstand“.
Vom Nutzer ausgehen
In Zukunft kommt es deswegen immer mehr darauf an, den Nutzern die Inhalte zu liefern, die sie wollen, wann sie wollen und wo sie wollen. Nicht zufällig stand der Medienkongress unter dem Motto „Mobile & Me – Wie das Ich die Medien steuert“. Selbst der Toaster könnte in Zukunft ein mögliches Medium sein, auf dem Inhalte zu sehen sind, wie der Zukunftsforscher Dr. Bernd Flessner prognostizierte. Was bedeutet das nun für die Medien- und Kommunikationsbranche? Eine konsequente Orientierung an den Bedürfnissen der Zielgruppen ist gefragt. Journalisten müssen in Zukunft mehr vom Nutzer her denken, ohne ihre Kernkompetenzen einzubüßen.
Qualität wird weiterhin den Unterschied ausmachen und Vertrauen schaffen.
Künstliche Intelligenz dynamisiert, internationalisiert und individualisiert auch die gesamte Kommunikationsbranche. Wenn Maschinen beispielsweise Pressemitteilungen in Sekundenschnelle erstellen, sie in mehrere Sprachen übersetzen und vollautomatisiert veröffentlichen, gewinnen die Kommunikatoren mehr Zeit für Kreation, Strategie und Beratung – und hier ist der Mensch dem Kollegen Computer noch auf lange Sicht überlegen. Algorithmen helfen zudem, die Datensätze der PR-Arbeit auszuwerten. In einer immer komplexer werdenden Kommunikationslandschaft ist das eine wertvolle Handreichung.
Was Maschinen (noch) nicht leisten können
Bis Maschinen eine Kommunikationsagentur vollständig ersetzen können, wird es wohl noch ziemlich lange dauern. Längst nicht alles ist automatisierbar. Maschinen sind dem Menschen zwar in puncto kognitiver Intelligenz überlegen: Watson von IBM kann geistige Arbeit bestens erledigen. Der weltschnellste Supercomputer Sunway hat mit 93.000 Teraflops das menschliche Gehirn (10.000 Teraflops) schon lange überrundet. Allerdings wiegt er auch 70.000-mal so viel und verbraucht mehr als das 8.000-fache an Energie pro Tag.
In der Alltagsintelligenz – elementarer Teil kommunikativer Kompetenz – hinken Maschinen dem Menschen aber weit hinterher. Einen Witz verstehen oder Ironie erkennen: das überfordert noch jede Maschine. Auch wenn komplexe Brettspiele wie Schach Maschinen nicht mehr vor Schwierigkeiten stellen – in einem Spiel wie Poker gewinnen immer noch die Menschen. Computer können Bluffs nämlich nicht erkennen und deuten. In der sozialen und emotionalen Intelligenz bleiben die Journalisten und Kommunikatoren den Bots auch in Zukunft klar überlegen.
Die semantische Welle der Digitalisierung und die Künstliche Intelligenz verändern Journalismus- und Medienberufe jedoch gewaltig. Sie werden routinemäßig zeitraubende Recherchearbeiten durchführen und einfache Texte wie Sport-, Wetter- und Quartalsberichte erstellen. Der Beruf des Redakteurs, Texters, Beraters oder Konzeptioners ist aber dennoch kein Auslaufmodell. Eigene Ideen entwickeln, abwägen und gewichten, kommentieren, Informationen überprüfen und transparent vermitteln, Geschichten erzählen – all das macht uns Menschen schließlich doch unersetzlich.
Andreas Eder arbeitet zurzeit als Praktikant bei KOMPAKTMEDIEN. Er hat Neuere und Neueste Geschichte und Moderne Europäische Geschichte in Freiburg, Durham und Cambridge studiert. An der Agenturarbeit interessiert ihn besonders die Herausforderung, gleichzeitig für unterschiedlichste Auftraggeber und Projekte kreative Kommunikationskonzepte zu erstellen und umzusetzen.